Der Dämon, der Engel und Schönheit (The Demon The Angel And Beauty)

Translation of Clark Ashton Smith by Sina Schmitz

Den Dämon, der stets an meiner linken Seite steht und wandelt, fragte ich: “Hast du Schönheit erblickt? Sie, die wohl in Ewigkeit die Herrin meiner Seele war? Sie, welche nun zweifellos in der Zeit über mir steht; auch wenn ich sie nicht sehe, und möglicherweise nie gesehen habe oder je sehen werde; Sie, über deren Anblick ich in Unkenntnis bin wie die Mittagsstunde es ist gegenüber jedem Stern: sie, von der ich als Zeuge und Zeugnis nur den Saum ihres Schattens fand oder allerhöchstens ihr Abbild in trübem und aufgewühltem Wasser. Antworte, wenn du kannst, und sag’ mir, ist sie wie Perlen oder wie Sterne? Ähnelt sie am meisten dem Sonnenlicht, das durchscheinend ist und ungebrochen, oder dem Sonnenlicht, das aufgespalten ist in Glanz und Iris? Ist sie das Herz des Tages oder die Seele der Nacht?

Worauf der Dämon nach einem, wie mir schien, kurzen Moment des Nachdenkens antwortete:

“Was diese Schönheit betrifft, kann ich dir wenig mehr als das erzählen, was du schon weißt. Obgleich es auf den Himmelskörpern, zu denen die Dämonen meines Ranges Zutritt haben, größere Anzeichen für ein außerweltliches Geheimnis gibt als hier, habe ich dieses Mysterium doch noch nie selbst erblickt, und weiß nicht, ob es männlich oder weiblich ist. Äonen zuvor, als ich jung und sorglos war, als die Welt neu war und strahlend, und es mehr Sterne gab als jetzt, wurde auch ich von diesem Geheimnis angezogen und suchte danach in allen zugänglichen Sphären. Doch unfähig, das Etwas selbst zu finden, wurde ich es bald müde, seine Schatten zu umarmen, und wandte mich der Verfolgung weniger substanzloser Illusionen zu. Nun bin ich, der durch und durch feurig und flammengefärbt war, damals in den sternengedrängten Äonen, von denen ich spreche, äußerlich grau und äschern und innerlich rot wie altes Feuer geworden. Höre mich an, denn ich bin ebenso weise und wachsam und alt wie die weitgereiste und von Kometen vernarbte Sonne; und ich bin zu der Meinung gelangt, daß das Ding Schönheit an sich nicht existiert. Zweifellos ist der Anschein desselben nichts als ein Netz aus Schatten und Täuschungen, gewoben von der listigen Hand Gottes, auf daß Er Dämonen und Menschen darin einwickeln kann, zu Seiner eigenen Freude und zum Gelächter Seiner Erzengel.“

Der Dämon verstummte und ging dazu über, mich wie üblich zu beobachten – versteckt und mit einem Auge – einem Auge, das röter ist als Aldebaran und unergründlich wie die Klüfte jenseits der Hyaden.

Dann fragte ich den Engel, der stets zu meiner Rechten wandelt oder steht: „Hast du Schönheit gesehen? Oder hast du irgendein bestätigtes Gerücht über Schönheit vernommen?“

Worauf der Engel nach, wie ich glaubte, einem Augenblick des Zögerns antwortete:

„Über diese Schönheit kann ich dir wenig mehr als das sagen, was du bereits weißt. Obschon dieses Geheimnis in allen Himmeln Gegenstand der häufigen und erhabenen Mutmaßungen unter den Erzengeln ist und ein ewiges Thema für die inspiriertesten Sänger und Harfner unter den Cherubim. Ja, ungeachtet all dessen, sind wir höchst unwissend bezüglich seiner wahren Natur und Substanz und Eigenschaften.  Doch manchmal gibt es gewaltige Anzeichen, welche selbst die überlegenen Seraphim bis über die Flügelspitzen erfassen und ein ungekanntes Zwielicht im Himmel erzeugen. Und manchmal ist da ein Echo, welches den Lichthimmel erfüllt und die Harfen der Erzengel inmitten ihrer Lobpreisungen zu Gott verstummen läßt. Das geschieht häufig, und diese Erscheinungen von Echo und Schatten verbreiten Ehrfurcht unter den versammelten Thronen und Tugenden und Herrschaften, wie sie zu anderen Zeiten nur von der Präsenz oder Erscheinung Gottes selbst begleitet wird. Daher sind wir der Realität dieser Schönheit versichert. Und weil es für uns, für die nichts anderes außer Gott geheimnisvoll ist, ein Geheimnis ist, vermuten wir, daß es etwas ist, worüber Gott nachgrübelt, selbstverhüllend und selbstbezogen, und weswegen Er sich selbst seit so vielen Äonen vor uns unmanifestiert hält: daß dies das Geheimnis ist, welches Gott selbst den Seraphim vorenthält.“

English original: Der Dämon, der Engel und Schönheit (The Demon The Angel And Beauty)

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